Das Geheimnis der Engel

Immer weniger Menschen glauben an Gott. Aber immer mehr glauben an Engel. Warum überirdische Wesen in unseren Zeiten Karriere machen

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Diese beiden Putten vom Maler Raffael sind die absoluten Stars der Engels­dar­stel­lungen. Man sieht sie auf Pla­katen von Brauereien. Auf Ad­vents­kalendern. Auf Kaffee­tassen. Ganz sicher bei Tchibo.

Der Engel: an sich eine zauber­hafte Vor­stellung. Kommt herab­geschwebt, tut Gutes, stellt keine nervenden Fragen. Während Kirchen­gemeinden stetig über Mit­glieder­schwund klagen, ist der Glaube an Engel gestiegen. In Deutschland, das zeigen Umfragen, denken 40 Prozent der Menschen, dass sie existieren.

Bereits die Babylonier kannten Engel, auch die Ägypter und Assyrer. In der Bibel sind sie haupt­beruf­lich Über­bringer des Wortes Gottes. Doch es waren vielmehr die Künstler, die ihnen ihre Standard­aus­stattung verliehen: Flügel, wallende Gewänder, Rausch­gold. Über Jahr­hunderte ein Lieblings­motiv religiöser Malerei.

Mit dem Beginn der Moderne war die Ein­sam­keit in den Gefühls­haushalt vieler Men­schen eingezogen. Die Vor­stellung von Schutz­engeln wanderte in den Volks­glauben herüber. Die Engel waren nicht mehr heilig enthobene Send­boten Gottes, sondern einfache Begleiter, die Sorgen und Nöte verstanden.

Auf die Hyper­individuali­sierung des Menschen antworten Esoteriker heute mit der Hyper­indi­viduali­sierung der Engel. In Büchern liest man vom Kopf­schmerz­engel, vom Diät­engel, Finanz­engel, vom Engel für gute Laune, vom Therapie­engel. Es gibt Engel-Tarot­karten, Engel-Kerzen, Engel-Öle, Engel-Tee und Raum­spray mit Erz­engel-Duft, eine florierende Engelindustrie.

Der Theologe Uwe Wolff erklärt sich die populäre Vor­stellung so: »Engel sind nach­trägliche Deutungen.« Gefühle von Rettung und Bewahrt­sein und Auf­ge­hoben­heit, so mächtig, dass wir ihnen Gestalt ver­leihen: nettes Wesen mit Flügeln.

ZEIT-Autor David Hugendick hat mit Priestern, Esoterikern und Skeptikern gesprochen. Warum Engel für ihn mehr als nur Kitsch sind und warum viele Menschen sie als Begleiter im Leben brauchen, lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der ZEIT.

Sources

Credits

Text: David Hugendick
Fotos: Abb.: akg (14); Bridgeman (12), VG Bild-Kunst 2023; Mauritius (2); imago (2); Getty Images; dpa; imago; Shutterstock; Interfoto; Artothek; Prisma; Horst Sambo/Red Bull GmbH, Fuschl am See, © BR/Walter Reiner; Abb: 1: »Der Himmel über Berlin«, 1987. 2: Carle van Loo, 1761. 3: Fresko in der Wiener Karlskirche, 1725-1730. 4: Red-Bull-Werbung, 1994. 5: Postkarte, um 1900. 6: Marcantonio Franceschini, 1716. 7: Abbott Handerson Thayer, 1889. 8: Simone Martini, 1333. 9: Detail eines Altars in Spanien, 12. Jahrhundert. 10: Jean-Baptiste Greuze, 1786. 11: William Adolphe Bouguereau, 1890. 12: Luigi Mussini, 1841. 13: Franz Kadlik, 1830. 14: Giotto di Bondone, 1304-1306. 15: Heidi Klum bei einer Modenschau, 2003. 16: Rogier van der Weyden, 15. Jahrhundert. 17: Francesco Albani, 17. Jahrhundert. 18: Sandro Botticelli, 1481. 19: Andy Warhol, 1950. 20: Guariento di Arpo, 14. Jahrhundert. 21: »Ein Münchner im Himmel«, 1962. 22: Alexandre Cabanel, 1847. 23: Paul Cézanne, um 1860. 24: Anime aus Japan. 25: Paul Klee, 1920. 26: Lorenzo Lotto, 1527. 27: Fridolin Leiber, 19. Jahrhundert. 28: Raffaello Sanzio, 1514. 29: Edward John Poynter, 1870. 30: Friedrich Wilhelm von Schadow, 1828. 31: Marc Chagall, um 1930. 32: Edward Coley Burne-Jones, 1878. 33: »Aufnahme Mariens in den Himmel«, 15. Jahrhundert. 34: Ephraim Moses Lilien, um 1900. 35: Cornelia Lauwaert, nach Rudolf Steiner. 36: »Die Simpsons«, 2005.
Titelbild: Élisabeth-Louise Vigée-Lebrun, »Amor«, ca 1789
Grafik und Animation: Jan Schwochow
Produktion: Frederik Seeler, Christian Krug

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